Den „schöpferischen Sprung“ nutzen: Aus der Krise eine Chance machen

27. März 2020

Lesedauer: ca. 5 Min

In China ist ein Sack Reis umgefallen … ist der gern genutzte Ausdruck für ein unwichtiges Ereignis.  Doch gerade rückt Corona das Land der Mitte direkt in die Mitte des Weltgeschehens. Die Corona-Krise mit ihren Konsequenzen stellt unseren gewohnten Alltag gerade völlig auf den Kopf. Doch Krisen bieten auch sehr viel persönliches Potential, wenn man sich richtig damit auseinandersetzt. Hier liest du, wie und warum…

Kurz und knapp, darum geht’s:

  • Krisen rütteln uns emotional stark auf, weil wir gewohnte Routinen und Werte verlieren.
  • Kritische Lebensereignisse und -veränderungen werden in 4 typischen Phasen bewältigt.
  • Am Höhepunkt entsteht der „schöpferische Sprung“, der viele Chancen und persönliche Entwicklungspotentiale ermöglicht, wenn man ihn nutzt.

Finden wir uns plötzlich unfreiwillig in einer Krise wieder, kann uns das emotional stark aufrütteln, weil gewohnte Routinen oder unser Wertesystem ins Wanken geraten. Vor allem wenn wir emotional tief drinstecken, ist es manchmal schwer, einen kühlen Kopf zu bewahren und rational zu denken. Alles scheint plötzlich nur noch um das eine Problem zu kreisen. Weil das Gewohnte nicht mehr funktioniert, plagt uns zusätzlich die Sorge, die Krise nicht bewältigen zu können. Aber auch hinter dunklen Wolken scheint die Sonne: Ausgerechnet das chinesische Schriftzeichen für Krise besteht (vereinfacht formuliert) aus zwei Teilen: der eine Teil bedeutet „Gefahr/Risiko“, der andere Teil bedeutet „Chance“. Demnach steckt in jeder Krise auch eine Chance – und diese zu ergreifen, hilft uns, wieder auf die Beine zu kommen. 

Kritische Lebensereignisse und zwischenmenschliche Krisen (z.B. auch Liebeskummer) lassen sich im 4-Phasen-Modell der Schweizer Psychologie-Professorin Verena Kast einordnen. Vermutlich erkennst du dich und Andere in der aktuellen oder in einer vergangenen Situation wieder:

1. Die Phase des „Nicht-Wahrhaben-Wollens“:
Anfangs steht man unter Schock und empfindet die aktuelle Situation als gar nicht real. Man fühlt sich empfindungslos und leer, weil negative Gefühle von der Psyche erst einmal abgespalten werden - ein Schutzmechanismus. Deshalb kann es auch passieren, dass das Problem erst einmal geleugnet wird. 

2. Die Phase der aufbrechenden, chaotischen Emotionen:
Unsicherheit oder Angst, Frustration oder Wut, Selbstzweifel, etc. - dazu kommt vielleicht noch das Gefühl, sich zusammenreißen zu müssen. Oder man sucht nach einem Schuldigen für die unangenehme Situation. Dafür ist die Krise am Ende der zweiten Phase an ihrem Höhepunkt. An dieser Stelle spricht Verena Kast vom „schöpferischen Sprung“. Ab hier kann aus der Krise auch eine Chance werden: denn man ist gezwungen, alte Gewohnheiten liegen zu lassen, über seine Grenzen hinaus zu wachsen und neue kreative Lösungsmöglichkeiten zu finden.

3. Phase des Suchens, Findens und sich Trennens
Sind die heftigen Gefühle herausgelassen, versucht der Mensch, das Erlebte ins eigene Leben einzuordnen. Man sucht nach dem Sinn und versucht, den subjektiven Verlust durch etwas anderes zu ersetzen. Das Trennen vom Alten ermöglicht es, das Geschehene zu akzeptieren.

4. Phase des neuen Selbst- und Weltbezuges
Krisen sind wichtig, denn durch das Ende eines gewohnten Zustands können wir lernen, uns gegenüber Neuem zu öffnen. Wir gehen Wege, die wir in unserem gewohnten Trott sonst nicht gegangen wären und probieren erstmalig ungewohnte Verhaltensweisen aus. Wir wachsen über uns selbst hinaus, lernen unsere eigenen Werte besser kennen und werden stärker. Vielleicht entstehen neue Beziehungen, die wir nicht mehr missen möchten.  

„Verstehen kann man das Leben rückwärts, leben muss man es aber vorwärts“ (Søren Kierkegaard). Deshalb können wir auch rückblickend oft Positives an der überstandenen Krisenzeit erkennen. Krisen bieten uns tolle Entwicklungs-Chancen, wenn wir sie annehmen.

Du kannst:

  • neues Potential in dir entdecken, mit dem du deine alten Grenzen überwindest und Herausforderungen stemmst. Das tut dir und deinem Selbstwertgefühl gut.
  • neue Lösungswege finden, um mit anstrengenden schwierigen Situationen in der Zukunft besser umzugehen.
  • eingerostete Verhaltensweisen kritisch hinterfragen, die Routine sprengen und neue ausprobieren – das gilt auch für den Umgang mit dir und deinen Mitmenschen. 
  • deine eigenen Prioritäten erkennen und deine Lebensziele um-stecken.
  • völlig neue Wege gehen und dir überlegen, was es für dich bedeutet, deine Zeit sinnvoll zu verbringen: Was wolltest du schon immer einmal tun oder lernen, hast es dann aber doch nie gemacht?
  • hinterfragen, was dir in deinem persönlichen Leben wichtig ist - und ob du danach lebst. 

Erst kürzlich meldete der Schauspieler Tom Hanks, sich während Arbeiten in Australien mit dem Corona-Virus infiziert zu haben und sich dort in Quarantäne zu befinden. Ebenfalls in Übersee strandete seine Filmfigur Chuck Noland im Spielfilm Cast Away im Jahre 2000. „In einem normalen Leben können außergewöhnliche Ereignisse einen Menschen für immer verändern“ - im Film beweist er anschaulich, wie er in dieser extremen Überlebenskrise neue Lösungswege findet, sich selbst kennenlernt und ganz gewaltig über sich hinauswächst. 

Im Gegensatz zu C. Noland (see no land) sitzen wir alle zusammen in einem Boot. Krisen zeigen, dass unsere eigenen Grenzen längst nicht erreicht sind und sie lassen uns wachsen. Die Chance ist da. Genau jetzt. 

Und wer den Film doch noch nicht kennt - hier geht’s zum Trailer für das gemütliche Heimkino: https://www.youtube.com/watch?v=7EWDxhBTjw4

 

Von Nicola Loacker, Psychologin und Recruiterin bei K211 Consulting

Quellen:

Verena Kast: Der schöpferische Sprung. Vom therapeutischen Umgang mit Krisen. Patmos Verlag, Düsseldorf, 2008.

Rolf Oerter & Leo Montada: Entwicklungspsychologie. Beltz Verlag, Weinheim, 2002.

Doris Wolf & Rolf Merkle: Gefühle verstehen, Probleme bewältigen. PAL Verlag, München, 2012.

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