Wie viel ist deine Arbeit wert? Vom Gelderwerb zur Selbstverwirklichung

08. Juni 2020

Lesedauer: ca. 5 Min

Viele Menschen würden freiwillig weiterarbeiten, wenn sie im Lotto gewinnen. Arbeit ist Existenzsicherung, aber ganz offensichtlich ist sie auch sehr viel mehr als nur das. In diesem Artikel erfährst du alles über die weniger bekannten und unbezahlten, aber genau so wichtigen Vorteile von Arbeit. The best things in life are free...

Kurz und knapp, darum geht’s:

  • Schon seit Jahrhunderten geht es bei der Erwerbsarbeit um mehr als den Erwerb von Geld.
  • Es gibt insbesondere 5 weitere wissenschaftlich belegte nicht-monetäre Pluspunkte der Arbeit – allesamt unabdingbar für unsere Lebenszufriedenheit.

„Würden Sie auch weiter arbeiten, wenn Sie im Lotto gewinnen?“ – Mehr als die Hälfte aller Befragten antwortete auf diese Frage mit einem klaren „JA“ – so die Ergebnisse einer Studie zur Bedeutung von Arbeit, die die Bertelsmann-Stiftung veröffentlichte.

Und ein kurzer Blick auf unsere Geschichte zeigt: das ist gar nicht neu. Denn schon seit Jahrhunderten nimmt die Arbeit einen extrem hohen Stellenwert im Leben der Menschen ein. Lediglich in der Antike und im Mittelalter wurde Arbeit noch als unwürdige Tätigkeit gesehen, die - assoziiert mit „Mühsal, Plage, Last und Not“ - den unteren sozialen Schichten vorbehalten war. Durch das christliche Weltverständnis, in dem Pflichterfüllung und harte Arbeit hervorgehoben wurden, erhielt die Arbeit aber schon eine positivere Note. Diese positive Bewertung setzte sich spätestens im 19. Jahrhundert mit dem Erfolg der hart arbeitenden und sich früh industrialisierenden westlichen Gesellschaft weiter durch. Das treffendste Beispiel dazu gab uns Henry Ford persönlich: „Arbeit gibt uns mehr als den Lebensunterhalt: sie gibt uns das Leben.“ Und bis heute definiert die Arbeit einen bedeutenden Teil unseres Lebens. Spannend ist aktuell vor allem der Wertewandel, der die Arbeit in der heutigen Zeit prägt: vom Materiellen zum Postmateriellen – nicht mehr die früheren Pflicht- und Akzeptanz-Werte stehen im Vordergrund, sondern die Selbstentfaltung. Die Wünsche an die Tätigkeit, mit der wir einen Großteil des Tages verbringen, sind gestiegen.

Erwerbsarbeit ging in unserer Gesellschaft offensichtlich schon immer weit über die Sicherung der Existenz hinaus. Worum geht es uns denn noch? Was macht Arbeit so bedeutsam für uns? Durch die Pionierarbeit von Marie Jahoda von der University of Sussex beschäftigen sich wissenschaftliche Studien schon sehr lange und erfolgreich mit der Bedeutung von Arbeit für den Menschen. Ergebnis: Neben dem Einkommen sind weitere ganz konkrete Faktoren unserer Arbeit verantwortlich für die Lebenszufriedenheit. Die sind uns gar nicht zwingend bewusst und treten meist erst in den Vordergrund, wenn sie uns verloren gehen.

Hier sind die 5 wichtigsten (unbezahlten) Vorzüge der Arbeit:

1. Aktivität und Kompetenz: Arbeit ermöglicht es uns, pro-aktiv zu sein und ganz konkret zu handeln. Idealerweise erleben wir eine für uns persönlich sinnvolle Tätigkeit. Durch Arbeitsaufgaben entwickeln wir neue Fähigkeiten und können Kenntnisse erweitern. Das stärkt nicht nur die Handlungskompetenz sondern auch den Selbstwert.

2. Zeitstrukturierung: Arbeit strukturiert nicht nur unseren Tages-, Wochen- und Jahresablauf, sondern streng genommen die ganze Lebensplanung. Arbeit lässt uns morgens zielsicher aufstehen und gibt uns eine verlässliche Ordnung, an der wir uns orientieren können. Sie lässt uns Zeit anders wertschätzen. Interessant ist auch, dass sich Begriffe wie z.B. Freizeit, Urlaub oder Rente nur über ihren Bezug zur Arbeit definieren.

3. Kooperation und Kontakt: Für viele ist das Zusammentreffen mit anderen Menschen wichtig und hilfreich. Das Praktische an der Arbeit ist, dass sie uns oft ganz ohne gezielte Verabredungen ein konstantes Umfeld für regelmäßige soziale Kontakte schafft. Das schafft viele Möglichkeiten des sozialen Austauschs und ermöglicht die Entwicklung kooperativer Fähigkeiten.

4. Soziale Anerkennung: Durch die eigene Leistung und die Zusammenarbeit mit anderen bekommen wir positives Feedback und Anerkennung. Das gibt uns das Gefühl, einen nützlichen Beitrag zu leisten und etwas Wertvolles zu tun. Es liegt auf der Hand: das motiviert!

5. Persönliche Identität: Die Rolle, die wir durch unseren Beruf einnehmen und die im Laufe der Zeit gewonnenen Kompetenzen prägen uns auch persönlich. Deshalb bilden sie einen wichtigen Baustein für die Entwicklung unseres Identitäts-Erlebens – und auch das stärkt wiederum das Selbstwertgefühl.

Marie Jahoda erkannte, dass Arbeit für unser Wohlbefinden auch deshalb so wichtig ist, weil sie die einzige Quelle ist, die diese 5 Erfahrungswerte sowohl im nötigen Maße als auch in der nötigen Regelmäßigkeit ermöglicht. Übrigens: die Erfahrungen können als angenehm oder als unangenehm erlebt werden, Hauptsache, sie sind da. Da überrascht es nicht, dass auch sie schon in den 80ern zu dem wissenschaftlichen Schluss kam, dass Menschen selbst dann arbeiten möchten, wenn keine ökonomische Notwendigkeit besteht.

Der Einkommenserwerb sichert unsere Existenz. Und das Erleben von Kompetenz, Zeitstruktur, Sozialkontakten, Anerkennung und Identität sichert uns ganzheitliche Zufriedenheit, Ausgeglichenheit und persönliches Wohlbefinden. In der Kombination ist das optimal – ein Erfolgsrezept, das sich seit Jahrhunderten bewährt. Henry Ford fasst es clever zusammen: „Ein Geschäft, das nur Geld einbringt, ist ein schlechtes Geschäft.“

 

Von Nicola Loacker, Psychologin und Recruiterin bei K211 Consulting

Quellen:

Gaspar, C. & Hollmann, D. (2015). Bedeutung der Arbeit. Ein Kooperationsprojekt von GfK Verein und

Bertelsmann Stiftung (Homepage).

Jahoda, M. (1982). Employment and Unemployment: A Social-Psychological Analysis, Cambridge University Press, Cambridge.

Promberger, M. (2008). Arbeit, Arbeitslosigkeit und soziale Integration. Aus Politik und Zeitgeschichte (APUZ 40-41/2008). Bundeszentrale für politische Bildung (Homepage).

Semmer, N. & Udris, K. (2007). Bedeutung und Wirkung von Arbeit. In: Schuler, H. (Hrsg.): Lehrbuch der Organisationspsychologie. Huber, Bern.

Voigt, K.-I. (2008). Industrielles Management. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg.

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