Social Jetlag? Wann Frühaufsteher und Spätstarter besser arbeiten – und warum das Timing zählt

22. Oktober 2020

Lesedauer: ca. 5 Min

Langschläfer haben es im Arbeitsalltag manchmal schwer – werden sie doch jeden Morgen aus dem gefühlten Tiefschlaf gerissen, um dann auf frühaufstehende gut gelaunte Kollegen zu treffen. Schuld daran ist die „Master-Clock“ im Gehirn, die den Takt für unseren ganz individuellen Schlaf-Wach-Rhythmus vorgibt. Der passt leider nicht immer zu den von außen vorgegebenen Arbeitszeiten. Doch es gibt Hoffnung….

Kurz und knapp, darum geht’s:

  • Der suprachiasmatische Nucleus (SCN) ist die körpereigene innere Uhr, die Menschen zum Frühaufsteher oder Langschläfer macht.
  • Passt der körpereigene Takt nicht zu den von außen vorgegeben (Arbeits-)Zeiten, entsteht der Social Jetlag.
  • Kennt man die eigene innere Uhr, kann man mithilfe verschiedener Strategien auch am Arbeitsplatz im körpereigenen Takt bleiben.

„Wenn der Wecker morgens rasselt
und der Tag nimmt seinen Lauf,
ist die Stimmung mir vermasselt,
denn ich steh so ungern auf.“

Trude Herr (1927-1991), rheinische Kabarettistin und Sängerin, war „…morgens immer müde, doch am Abend werd‘ ich wach“. Ihr Problem besang sie im gleichnamigen Lied bereits in den frühen 60ern, trifft aber bis heute den Nerv all der Menschen, die sich mit dem frühen Vogel bislang noch nicht so recht anfreunden konnten.

Wenn der Wecker morgens rasselt, topfit aus dem Bett springen, um sich motiviert (und wach!) den Herausforderungen des Tages zu stellen? Für Frühaufsteher keine große Sache, für Trude dagegen der Einstieg in einen vermasselten Tag. Doch woran liegt das? Gehen Langschläfer wie Trude einfach nur zu spät ins Bett?

Sicherlich feierte und sang Trude gern und häufig bis spät in die Nacht. Aber eigentlich trägt noch jemand anderes die Verantwortung, nämlich der suprachiasmatische Nucleus (SCN), ein Areal im Gehirn gleich über den Sehnerven. Der SCN beherbergt sozusagen die „Master-Clock“, unsere körpereigene innere Uhr. Die ist auch für unsere circadianen Rhythmen verantwortlich: circa dian bedeutet dabei nichts weiter als „ca. 1 Tag“, denn so lange läuft ein körpereigener Prozess ungefähr ab, bevor er wieder von vorne startet. Typische circadiane Rhythmen sind der Hormonspiegel und Stoffwechselfunktionen (und damit auch der Verlauf unseres Hungergefühls über ca. 1 Tag). Weiterhin die persönliche Leistungsfähigkeit und eben auch der Schlaf-Wach-Rhythmus.

Weil der SCN circadiane Rhythmen jeweils individuell gestaltet, zeigen Menschen auch Unterschiede im zeitlichen Ablauf ihrer inneren Uhren. Von unserer ureigenen und ganz persönlichen „Master-Clock“ hängt also auch ab, wann unser Schlaf-Wach-Rhythmus startet: Sind wir morgens putzmunter und abends schläfrig-müde? Oder halten wir es doch eher wie Trude? Zwar gibt es auch eine Zeit, zu der statistisch gesehen fast alle Menschen schlafen: zwischen 3.30 und 5.30 morgens. Aber: ob wir dann am frühen Morgen schon am Ende unseres Schlaf-Rhythmus‘ angekommen und hellwach sind – oder eben noch müde schlummernd im gemütlichen Bett liegen bleiben möchten – das taktet jede Uhr individuell.

„Social Jetlag“ nennen Wissenschaftler das Problem, wenn die innere biologische Uhr so gar nicht zu den von außen vorgegebenen Zeitplänen – beispielsweise Arbeits- oder Ausbildungszeiten - passt. Während es dem glücklichen Frühstarter völlig entgegenkommt, morgens hellwach im Büro Höchstleistungen zu erbringen, möchte der circadiane Spätstarter nur zurück ins Bett, um den Tag ein paar Stunden später nochmal neu zu booten. Denn er ist ja nicht faul, auch er kommt auf Touren – nur eben erst später. Dafür bleibt er ja auch länger wach.

Doch wie kann ich das nun in meinem Arbeitsalltag umsetzen?

5 Strategien, um im Takt mit der inneren Uhr zu bleiben:

1. Er-Kenne deine „Master-Clock“.  Starte ich besser früh oder besser später? Wann bin ich müde, wann bin ich wach und leistungsfähig? Mache ich mir dies einmal richtig bewusst (unbewusst dämmerte es uns sicher längst), ist der 1. Schritt schon einmal getan. Dann kann ich überlegen, welche Zeiten ich anpassen kann, um den „Social Jetlag“ zu reduzieren.

2. Welche Möglichkeiten sehe ich, um meine Arbeitszeiten – zumindest in Teilen – an meine biologische Uhr anzupassen? Kernarbeitszeiten, die nach vorne und hinten frei gestaltbar sind, könnten da einen cleveren und alltagstauglichen Kompromiss darstellen. Heutige moderne Arbeitszeitmodelle mit flexibleren Zeitregelungen oder Home-Office-Möglichkeiten am Freitag bieten neue Potentiale, die man nutzen sollte, um den „Social Jetlag“ zu reduzieren.

3. Auch bei starren Arbeitszeiten – welche Freiheiten bieten sich, meinen Arbeitstag selbst zu strukturieren? Was meldet meine Uhr? Bin ich morgens in bester sozialer Laune und meistere Termine und Präsentationen mit Bravour? Prima. Brauche ich morgens nur Kaffee, meinen Bildschirm und konzentrierte Ruhe? Auch prima. Freie Aufgaben kann ich innerhalb meines Arbeitstages so einteilen, dass ich sie optimal ausschöpfe. Wann ist mein Tagestief und wie kann ich es trotzdem genießen? Vielleicht verlege ich einfach meine Pause oder teile sie auf.

4. Akzeptiere, wer du bist. Versuchst du, deine innere Uhr zu bekämpfen, wird die innere Uhr den Kampf gewinnen. 

5. Nutze deine Freizeit voll aus! Am Wochenende und im Urlaub entscheidest du über den Takt und das solltest du ganz bewusst tun und genießen. In deiner Freizeit kannst du dir auch Trude’s Klassiker noch einmal anhören: https://www.youtube.com/watch?v=Qcq2OHkH5sg. Auch Mitsingen hebt die Stimmung.

 

 

Von Nicola Loacker, Psychologin und Recruiterin bei K211 Consulting

Quellen:

Trude Herr: Morgens bin ich immer müde. Philips Phonographische Industrie, 1960.

Karlheinz Meier-Ewert, Hartmut Schulz: Schlaf und Schlafstörungen. Springer, Berlin 2013.

John P.J. Pinel, Paul Pauli: Biopsychologie. Pearson, 2017.

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