
Man kann sich seinen Chef aussuchen
02. September 2025
Lesedauer: ca. 5 Min
Anfang der 2000er saß ich mit meinem damaligen Vorstand in der Kantine eines weltweit agierenden Familienunternehmens. Von ihm habe ich viel gelernt - und ich schätze ihn bis heute. Zwischen Suppe und Hauptgang sagte er plötzlich: „Ich verstehe manche Kollegen nicht, die ständig über ihren Chef nörgeln. Man kann sich doch seinen Chef aussuchen.“ Ich schaute ihn verblüfft an. Er grinste und fügte hinzu: „Sie brauchen doch nur zu kündigen.“
Im ersten Moment fand ich diese Aussage recht provokant. Doch nach und nach begann ich zu verstehen, wie viel Wahrheit in ihr steckt. Vielleicht nicht sofort, vielleicht nicht morgen, aber grundsätzlich gilt: Wir sind viel freier, als wir oft glauben.
Warum wir bleiben, obwohl wir uns nach Veränderung sehnen?
Im Laufe meiner Laufbahn sind mir viele Menschen begegnet, die mit ihrer Arbeitssituation nicht zufrieden waren - und trotzdem blieben. Sie hielten durch, obwohl sie innerlich längst weitergezogen waren. Anstatt den entscheidenden Schritt zu wagen, flüchteten sie sich in scheinbar rationalen Begründungen - ich nenne sie ‚intellektuelle Fluchtrouten‘: Wenn die Kinder größer sind. Wenn ich mehr Rücklagen habe. In meinem Alter wechselt man nicht mehr. Und woanders ist es bestimmt auch nicht besser. Unser Verstand liefert immer Gründe, den Status quo zu rechtfertigen. Denn Ordnung und Gewohnheit fühlen sich vertraut an, selbst wenn sie längst zur Last geworden sind. Hingegen erscheint dem Verstand alles Neue und Unbekannte wie eine Bedrohung - selbst wenn in jedem Risiko auch eine Chance verborgen ist. Doch wer in diesem Trott verharrt, zahlt einen hohen Preis: die Energie versiegt, das Selbstbewusstsein schwindet, die Selbstachtung verblasst und die Abenteuerlust des Lebens verschwindet gleich mit. Und während wir auf der Stelle treten, meldet sich der Körper: schlechter Schlaf, innere Unruhe, Gereiztheit. Kleinkinder haben da ihre eigene Logik: Wenn etwas wehtut oder ihnen nicht passt, machen sie sofort Rabatz. Sie zögern nicht lange, sondern sorgen sofort dafür, dass es ihnen wieder gut geht. Sie schreien, laufen weg oder suchen jemanden, der sie tröstet - ganz nach dem Motto: ‚Schmerzen sofort!‘. Wir Erwachsenen dagegen verhalten uns raffinierter. Wir schreien nicht mehr, wir kompensieren. Manche stürzen sich exzessiv in Sport, andere suchen Trost im Kühlschrank oder im Cognac-Glas, wieder andere verlieren sich in der Gute-Filme-Bibliothek mit endlosen Tierfilmen oder Happy-End-Streifen. Alles, nur nicht hinschauen.
Der Schlüssel heißt Bewusstheit
Der Ausweg ist einfacher, als viele denken: Bewusstheit. Bewusstheit über das eigene Denken, Fühlen und Handeln. Denn es sind vor allem die eigenen Gedanken, die uns kleinhalten, anstatt uns zu öffnen. Oft sind es nicht die äußeren Umstände, die uns blockieren, sondern unsere eigenen Muster und Überzeugungen. Oder, wie es Heinz Erhardt einmal formulierte: „Sie dürfen nicht alles glauben, was Sie denken!“ In dem Moment, in dem ich erkenne, dass meine Grenzen vor allem in meinem Kopf entstehen, öffnet sich ein neuer Raum. Plötzlich gibt es Wahlmöglichkeiten. Plötzlich gibt es Handlungsspielraum. Und mit ihnen erwacht das Gefühl von Selbstbestimmtheit, verbunden mit neuer Energie und Tatendrang. Und ja, plötzlich kann ich mir tatsächlich meinen Chef aussuchen.
Mitten in dieser Erkenntnis liegt eine tiefe Wahrheit: Alles, wonach wir suchen, steckt bereits in uns. Manchmal hilft es, wenn jemand uns anstößt, neu zu denken. Aber letztlich liegt es bei uns: mutig sein, handeln, wachsen. Nachdenken allein verändert nichts. Denken ist der Trostpreis, Handeln ist der Hauptgewinn.
Ein neuer Blick aufs Leben
Irgendwann habe ich aufgehört, dem Leben vorzuschreiben, dass es sich nach meinen Erwartungen richten soll. Und genau in diesem Moment wurde es leichter. Auf einmal waren Umwege keine Irrtümer mehr, sondern Abwechslung und Abenteuer. Hindernisse verwandelten sich in Lehrmeister, an denen ich wachsen und mich weiterentwickeln konnte. Veränderungen wurden zu Türöffnern für Freiheit und Lebendigkeit.
Diese Haltung, dass wahre Veränderung mit der Annahme des Augenblicks beginnt, habe ich über Jahrzehnte als Führungskraft, in meiner Ausbildung und in Seminaren erprobt und verfeinert. Heute gebe ich diese Erfahrung in meinem UP-Seminar (Unfold Potential) weiter. Dort geht es nicht um trockene Theorie oder Methodenwissen, sondern um echte Lebendigkeit: den Mut, Möglichkeiten wiederzuentdecken, das eigene Leben bewusst in die Hand zu nehmen. Denn eines ist sicher: Wer sich selbst führt, kommt weiter.
Gastbeitrag von Andreas Schubert, Psychodynamischer Berater und Kooperationspartner bei K211 Consulting / Mehr über unseren Autor unter: www.up-beratung.de
UP-Seminar - Informationen und Anmeldung
Das Seminarangebot von Andreas Schubert kann sowohl direkt über ihn als auch über K211 Consulting gebucht werden. Bei Interesse freuen wir uns über Ihre Nachricht an karriere@k211consulting.de
Quellen:
Studien zur Entscheidungsfreiheit, Selbstbestimmungstheorie (Deci & Ryan, Self-Determination Theory)
Neuropsychologische Studien zur Macht der Gewohnheit (Duhigg, The Power of Habit; Wood & Neal, 2007)
Psychosomatik, Stressforschung (Sapolsky, Why Zebras Don’t Get Ulcers; McEwen, 1998)
Achtsamkeit und Bewusstheit (Kabat-Zinn, 1990; Brown & Ryan, 2003)
Humanistische Psychologie, Selbstaktualisierung (Carl Rogers, Abraham Maslow)